Susi wirbelte ins kleine Zimmer der
Freundin.
„Mensch Hanna, du liegst ja schon
wieder auf dem Bett. Was ist los? Wollten wir nicht raus?“
„Heute kann ich nicht, habe rundum
Dienst und bin jetzt schon erledigt.“
„Susi, lass uns am Wochenende zum Tanzen nach
Singen fahren, dort ist viel mehr los“.
„Aber sicher, ich habe am Sonnabend ab
fünfzehn Uhr Feierabend und Sonntag frei. Hanna, ich hole dich ab.“
So fuhr sie mit der
unternehmungslustigen Hanna in die größere Stadt, die mit dem Zug gut zu
erreichen war. Zielsicher marschierten sie durch die belebten Straßen. Susi,
für das Jahr 1968 schon sehr aufreizend gekleidet, in einem superkurzen
grün-beige gemusterten Strickkleid, passender grüner Strickstrumpfhose und einem
farblich wieder genau abgestimmten Blazer, alles Kleidung aus der letzten
Kollektion, für die sie Werbefotos gemacht hatte und die die Mädchen dann
billiger kaufen konnten, sowie farblich abgestimmte halbhohe Pumps zeigten eine
modemutige, junge Frau, die ihre hellen Haare jetzt nur noch schulterlang und
ganz glatt geföhnt trug, mit einem leichten Schwung der unteren Haarspitzen
nach außen. Die dunklen Wimpern hatten noch Nachhilfe durch etwas Wimperntusche
bekommen und der Mund wurde durch einen rose farbenen Lippenstift betont, der
die gebräunte Haut noch samtiger erscheinen ließ.
Hanna dagegen trug eine Hose und eine
Bluse, etwas grobschlächtig wirkend durch ihre Fülle, aber ihre dunklen Augen,
umrandet von schwarzen langen Wimpern leuchteten und gaben dem Gesicht Leben.
Lange Tische, kleine verträumte Ecken,
eine riesige Tanzfläche, wo jetzt schon so viele Paare tanzten…schimmernde
Kugeln, die ihr farbig wechselndes Licht durch den Raum zucken ließen und dann
ein Discjockey, etwas ganz Neues
Susi und Hanna steuerten auf den
nächsten Tisch zu, der noch freie Plätze anzeigte. Vier junge Männer und zwei
Mädchen saßen dort schon und lachten und sangen mit- Down town …
„Moin, ihr beiden, wo kommt ihr denn her?“
Susi hob erstaunt den Kopf. So sehr hatte sie sich an die Dialekte im
Schwarzwald, in der Schweiz und nun am Bodensee gewöhnt, dass ihr der absolut
hochdeutsche Satz völlig fremd erschien.
„Na, du kommst aber ganz aus dem
Norden“, konterte sie gleich und betrachtete das sehr männliche, kantige
Gesicht ihres Gegenübers. Groß war er schon im Sitzen, mittelblonde kurze
Haare und Augen, die leuchteten, als er sie ansah. „Komm, Lütte, lass uns
tanzen“, und schon sprang er auf, drängte an den Freunden vorbei und griff nach
Susis Hand.
„Phantastisch, jemanden heute zu
treffen, der auch noch richtig sprechen kann. Wir brauchen sonst immer einen
Dolmetscher, wenn wir hier Mädchen kennen lernen.“
„Was macht ihr denn hier, kommen die
anderen auch von weiter weg?“
„Wir studieren in Radolfzell an der
Betriebswirtschaftsakademie, ich bin aus der Kasseler Gegend, einer aus
Göttingen, einer aus Köln … und du?“ Susi musste lachen.
„Ach du meine Güte, dann kenne ich
einen Dozenten von euch, ich arbeite bei ihm, bin die Erzieherin seiner Kinder.
Meine Familie lebt in der Gegend von Hannover.“
„Na, das ist ja mal ein wahnsinnig
schöner Zufall“, er zog sie an sich, denn „The House Of The Rising Sun“
erklang, angekündigt von dem jungen Mann am Mikrophon.
Susi schaute auf, ja, er überragte sie
um einen ganzen Kopf und so, wie er sie hielt, meinte sie, keine Luft zu bekommen,
und sicher war die Wärme des Raumes daran schuld, dass ihr die Hitze ins
Gesicht stieg, ihr Herz heftiger schlug, als gewohnt … ach nein, das kam sicher
vom Tanzen und der Freude, mal wieder richtig hochdeutsch zu hören oder … sie
wurde unsicher, denn er hielt sie so dicht an sich gepresst, bewegte sich mit
ihr raumgreifend und dann wieder nur an der Stelle bewegend, ihre Leichtigkeit
auskostend, mit der sie sich führen ließ, immer wieder auf die gesenkten
Wimpern blickend, auch ihm wurde warm. Dann wieder ein Blick von ihr nach oben,
eingefangen von seinem, sie beobachtenden …
„Ich heiße Susi und du?“
„Godehard, altmodischer Name, ich
weiß“.
„Ach, ich werde dich Langer nennen,
denn gegen mich bist du das, zumal du mich eben Lütte genannt hast“, durchbrach
sie den Zauber, der sich breit machen wollte, holte auch ihn auf den Boden
zurück.
Jäh schrak sie hoch, denn „Hang On
Sloopy“ lief jetzt, der Lange hatte sie losgelassen und der Beat forderte nun
die „Einzelkür“, gelöst voneinander, dennoch den gleichen Rhythmus spürend,
wobei immer wieder die Blicke, die Hände sich trafen, dann „Only The Lonely“
und ganz besonders innig „Aber dich gibt’s nur einmal für mich“ und so wieder
durch die Nähe, jede Berührung einen Schauer auslösend, Wechselspiel der
Melodien, der Rhythmen, hier heiß und verlangend, dann schnell, aufputschend,
gleich darauf wieder schmusig, werbend, haltend, um beide dann in den Taumel
der Schnelligkeit, in die aufsteigende Hitze, die hastige Atmung zu versetzen,
dass sie erst die Tanzfläche tief atmend, mit fliegenden Pulsen verließen, als
der Discjockey zur Pause läutete.
Die Musik wurde wieder lauter,
fordernder, ließ den anderen jungen Männern keine Chance auf einen Tanz mit
Susi, so sehr sie auch protestierten, denn der junge Mann, dreiundzwanzig Jahre
alt, wie Susi inzwischen erfahren hatte, zog sie schon wieder auf die
Tanzfläche, hielt sie in den Armen und sie ließen sich mitreißen von den
Klängen, der Bewegung und als „Tell Laura I Love Her“ erklang, hob er mit
seiner Hand ihr Gesicht zu sich und seine Lippen legten sich ganz weich auf
die ihren. Getragen von dem Lied durchfuhr Susi ein heißer Blitz, den sie nie
zuvor gespürt hatte, ihre eben noch festen Lippen wurden weich, lösten sich,
öffneten sich, als seine Zungenspitze diese berührten, umrundeten, erforschend
an den Innenseiten weiterwanderten und dann in ihren nun auch leicht
geöffneten Mund eindrang, sich bewegend, begrüßend, auffordernd, zum ewigen Spiel
der Geschlechter, zum Schluss des Kreises von ICH und DU zum WIR, Flammen
entfachend, die beide heftiger atmen, alles um sie herum vergessen ließen, nur
noch den anderen fühlend, schmeckend, in ihn eintauchend. Susi versank ganz in
ihrem Gefühl und ihren Träumen, fühlte sich getragen, weggerissen in einem
Strudel, der sie trotz aller Gewaltigkeit sie warm und mild einhüllte.
„Träumst du?“ Seine tiefe Stimme riss
sie in die Wirklichkeit zurück, obwohl sie immer noch nicht das Gefühl hatte,
in einer Diskothek zu sein. Ein weiches Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Mein Gott, wie jung und unschuldig sie aussieht,
schoss es ihm durch den Kopf und im gleichen Moment zog er sie wieder an sich,
überwältigt von den eigenen Gefühlen. Wie eine Feder lag sie in seinem Arm,
den Kopf an seiner Schulter, jeden seiner Muskeln fühlte sie, atmete sein
Rasierwasser, seinen Deodorant, seinen eigenen Körpergeruch ein, fühlte die
Wärme, die beide Körper miteinander verband …
Beide waren so versunken, dass sie nicht
merkten, wie so nach und nach die Tanzfläche sich leerte, die Freunde sich
verabschiedeten und dann auch die Musik leiser wurde und dann endete, die
Stimme von Henry, wie er sich am Plattenspieler nannte, sie in die
Wirklichkeit zurück holte.
„Hallo, ihr Turteltauben, Schluss für
heute, geht nach Hause.“
Verwirrt, verlegen wischte sich Susi
die etwas feuchten Haare aus der Stirn. „Na, komm, Lütte, dann wollen wir mal
los, die anderen haben uns ja schon verlassen.“
Hand in Hand schlenderten sie durch die
Nacht zum Parkplatz, immer wieder stehen bleibend, sich haltend, Münder, sich
suchend und findend …
„So, mein Kleines, da sind wir.“ Tief
atmend hielt er den Wagen vor dem großen Wohnblock an. „ Ich hoffe, wir sehen
uns morgen?“
„Ja“, Susis Stimme kam leise und fast
schüchtern, „wenn du willst gerne, denn morgen, das heißt heute“, lachte sie
plötzlich, mit einem Blick auf ihre Armbanduhr „heute habe ich noch frei, muss
erst am Montag wieder arbeiten.“
„Gut, ich hole dich um zehn Uhr ab,
bist du dann schon wach?“
„Aber ja, ich komme mit wenig Schlaf
aus. Ich freue mich.“
Mit einem „Ich mich auch, sehr“,
schloss er sie noch einmal in die Arme, um sie ganz sanft zum Abschied zu küssen,
vorsichtig fast, um nicht wieder Emotionen hochkommen zu lassen, „Schlaf schön
und träum von mir.“
„Das habe ich doch schon ewige Jahre!“
„Wie meinst du das?“
Sie lachte: „Genau wie ich es sagte.“
Fast mühsam lösten sie sich
voneinander, Susi sprang aus dem VWCabrio, dann stand sie auch schon an ihrer
Haustür und winkte dem in der Dunkelheit verschwindenden Auto nach.
Sie konnte nicht schlafen. Leise
verließ sie wieder die Wohnung, um auf den am Ende des Flurs liegenden Dachgarten
zu gehen. Ein klarer Sternenhimmel zeigte sich ihr, zunehmender Mond
verbreitete ein sanftes Licht, ein Windstoß ließ sie erschauern.
Schon richtig herbstlich die Gerüche,
nahm sie wahr und wiegte sich auf der Erde sitzend, mit den Armen sich selbst
umschlingend, summend stieg ein Lied in ihr auf „Danke, für diesen guten
Morgen, danke, für diesen schönen Tag, danke, dass ich all meine Sorgen auf
dich werfen mag …“
Bewegte Zeiten, Treffen nach der
Arbeit und immer wieder diese innigen Momente, Minuten, Stunden … sie sahen
sich nur an, Blicke verschmolzen und die Hände fanden zueinander, sich haltend,
fest aneinandergepresst oder nur so locker mitten im Spaziergang.
Der Herbst verging viel zu schnell.
Susi hatte vier freie Tage, da in Zürich Aufnahmen für einen Sommerkatalog
gemacht werden sollten. Die Trennung fiel ihr unsagbar schwer, aber auch
Godehard konnte sich kaum von ihr lösen.
Winkend, wie sie ihn bei der Abfahrt
in Erinnerung behielt, so stand er auch bei ihrer Ankunft wieder da, um sie
abzuholen.
„Mein Gott, Lütte, hast du mir
gefehlt, ich habe es fast nicht ertragen.“ Über und über bedeckte er ihr
Gesicht mit Küssen, seine Hände umfingen ihre schlanke Taille, glitten den
Rücken rauf und runter, Erregung ergriff beide, doch dann sahen sie sich an,
lachten und Susi meinte nur, „Ich war doch nur vier Tage weg“, „Ja, und vier
lange Nächte.“ Seine Stimme war nicht ganz fest, wie Susi erstaunt bemerkte
und sie in einen Glückstaumel fallen ließ. Wie schön es doch war, zu einem
geliebten Menschen heim zu kommen.
Ihr kleiner Koffer war schnell im Auto
verstaut.
„Du kommst mit zu mir? Ich habe etwas
zu essen vorbereitet. Hans ist bei Maria und meiner Zimmerwirtin habe ich
gesagt, ich bringe Kommilitonen zum Lernen mit. Dann können wir uns noch einen
gemütlichen Abend machen.“
Susi kannte das kleine Zimmer in der
WG, einer Zweizimmerwohnung, die Godehard mit Hans teilte, noch nicht. Es war
nirgends erlaubt, Andersgeschlechtliche mitzubringen.
Susi staunte, der Lange hatte
tatsächlich einen irischen Eintopf gezaubert, mit zwei Kerzen den kleinen Tisch
geschmückt, eine Rose lag an ihrem Teller und Weißwein schenkte er ein. Sie
saßen auf seinem Bett, das Essen war kalt geworden, stumm hatten sie sich nur
angesehen, ganz von selbst näherten sich ihr Gesichter, die Lippen fanden sich,
heiß, erregend das Spiel der Zungen, aneinander gewöhnt, vertraut und doch
immer wieder neu erforschend, dabei wanderten die Hände über die Körper, im
Gleichtakt zogen sie sich die Pullover über die Köpfe, sofort wieder zum Kuss
zusammenfindend, suchende Hände, streichelten, sanft, sanft auch die Küsse,
dann immer fordernder, verlangend. Zurückgesunken auf das schmale Bett streifte
er nun ganz langsam ihre Hose herunter und sie beantwortete das auf gleiche
Art, ohne Scheu, ohne Aber, ganz auf die Stimme im Innern hörend, die immer
wieder rief, ich gehöre nur noch ihm
…
Seine Lippen glitten von ihrem Mund
über den Hals, sanft nahm die Zunge den Geschmack der Haut auf, die glühte und
pochte, seine Hände streichelten die Beine außen, auf und ab, mal den Po
umkreisend, dann wieder über Bauch und Brüste gleitend, seine Zunge, seine
Lippen umkosten die harten Brustwarzen, ganz sanft schob sich nun eine Hand
zwischen ihre Schenkel, die sie ihm willig öffnete, ganz gefangen von der
Sanftheit, den Flammen, die seine Küsse, seine Berührungen auslösten, sie
spürte sein hartes Glied an ihrem Oberschenkel, hob sich ihm entgegen, sie
hielten sich umschlungen als er ganz leicht und sanft eindrang über den
feuchten Weg des Verlangens, sehnsüchtig von ihr empfangen und aufgenommen, im
gleichen Rhythmus sich bewegend, beider Atemzüge wurden lauter, heftiger,
mühsamer … Susi flog auf Engelsflügeln direkt in den Himmel, wurde von einer
Wolke zur anderen getragen, eine Woge der brodelnden See und des lodernden
Feuers vereinigten sich und warfen sie mit einem nicht enden wollenden Schwung
höher und höher, schneller und schneller, bis ihr heller Schrei auch ihn auf
den Höhepunkt zu trieb und beide, immer noch eins im Fühlen und Sein, eng
umschlungen, in der Bewegung des anderen mitschwingend, langsam wieder zu
ruhigerem Atem fanden, sich gegenseitig die feuchten Gesichter abwischten und
dann völlig versunken, fast noch ineinander verknotet still lagen. Gleichmäßige
Atemzüge, Hände, die nicht aufhören konnten zu streicheln, Münder die sich
wieder fanden, das Spiel der Zungen wieder aufnahmen und Körper, die nicht
genug von einander bekommen konnten.
Die Kerzen waren lange schon herunter
gebrannt und die kleinen Dochte im letzten heißen Wachs ertrunken, das Essen
stand kalt auf dem Tisch, der Wein fast unberührt in den Gläsern und irgendwann
zeugten gleichmäßige Atemzüge davon, dass die angenehme Müdigkeit nach dem so
genannten kleinen Tod nun in tiefen Schlaf übergeglitten war. Im Schlaf löste
sich nur einmal kurz die innige Umarmung, als der Mann nach der Decke griff
und sie über sich und die junge Frau zog.
Unendliche Mengen Schnee brachte
dieser Winter. Immer wieder starteten die jungen Leute an den freien Tagen ins
nahe Österreich, um dort Ski zu laufen. Österreich, Schweiz, herrliche,
ausgelassene Schussfahrten, Schneeballschlachten, die Fahrten mit den
Schleppliften, ach alles, was sie erlebte, ließ Susi das Gefühl von wahr gewordenem
Märchen empfinden und nicht mehr träumend genoss sie jeden Tag, jede Stunde,
jede Minute dankbar.
Wie schnell die Zeit voranschritt. Susi
machte ihren Segelschein, denn die Studenten hatten viele Klausuren zu
schreiben, und Susi traf sich mit Godehard nicht so häufig, weil er lernen
musste. Aber auch dies ging einmal vorbei, es wurde gefeiert, denn alle hatten
die Zwischenprüfungen bestanden. Schon im April wurde es so warm, dass die
ersten Mutigen im Bodensee badeten.
Aus dem herrlichen Frühling ging es
nahtlos in einen heißen Sommer über, den sie mit Schwimmen und Bootsfahrten
genossen.
Godehard und Susi saßen Sonntagabend
in der kleinen Eisdiele, tranken einen Eiskaffee.
Doch was war mit ihm los. Warum war er
so gedankenverloren, schaute sie an und wieder weg, setzte zum Sprechen an und
sagte dann doch nichts?
„Was ist los mit dir, du bist so
anders als sonst, sag mir doch, wenn dich etwas bedrückt“, Susi sah ihn fragend
an, doch er wich ihrem Blick aus.
„Lütte, ich muss dir etwas sagen und
du wirst mich dafür hassen.“
„Aber Blödsinn, was soll das denn
sein, sag schon…“ Er nahm ihre Hand. „Süßes, du weißt, dass ich dich sehr lieb habe,
aber ich war nicht ehrlich mit dir und muss das endlich loswerden.“
Susis Hände, die er hielt, fühlten
sich plötzlich eiskalt an. Als griffe eine eiskalte Hand an ihr Herz, presste
es zusammen, fühlte sie sich gerade in dem Moment … Kerzengerade wurde ihr
Rücken.
„Weißt du, als ich hier runter kam,
war ich schon verlobt, ich habe einer Frau die Ehe versprochen, ihre Eltern
finanzieren mein Studium und ich kann nicht zurück, wir wollen im Spätsommer
heiraten. Ich war in Kiel, um die Vorbereitungen mit ihr zu treffen, das
Aufgebot ist bestellt.“ Aufatmend lehnte er sich zurück. Er fühlte sich hundsmiserabel,
war aber froh, dass es nun heraus war. Er sah ihre aufgerissenen Augen, den
süßen Mund halbgeöffnet, kein Wort kam von ihr, sie war starr, sie konnte es
nicht glauben. Wach auf, du Dumme, du
träumst mal wieder einen schlechten Traum, versuchte sie sich wieder zu
sammeln, aufzuwachen, zu sehen, wie er sie auslachte, wenn sie ihm von diesem
Traum erzählte, doch nichts änderte sich, er saß weiter da, seine langen
schmalen Finger streichelten ihren Handrücken, sein Blick suchte den ihren,
bittend, flehend …
„Danke, dass du es mir sagst“, er
traute seinen Ohren nicht, ganz ruhig, ja fast gelassen kam dieser kurze Satz.
Wie froh war er, dass keine Szene gemacht wurde, dass sie so friedlich war.
„Das ändert nichts an unserer
Beziehung denke ich, du verlierst mich ja dadurch nicht.“
Sie lächelte, trank ihren Eiskaffe
aus, befreite ihre Hände aus seiner Umklammerung, stand nach einem Blick auf
die Uhr auf, „Ich muss gehen, meine Mittagspause ist vorbei, ich muss
arbeiten.“ Sie beugte sich vor, küsste ihn auf die Wange, legte eine Mark auf
den Tisch und verließ lächelnd die Eisdiele, bevor er überhaupt schalten
konnte. Als er bezahlt hatte und raus kam, war sie schon verschwunden und er
fluchte laut, dass er nicht mit dem Auto gefahren war, denn dann hätte er sie
schnell wieder eingeholt.
Susi verschwand sofort in einer Gasse
und lief auf Umwegen zu ihrer Arbeitsstelle. Am Bahnhof kaufte sie einige Zeitungen,
von denen sie gehört hatte, dass hier der größte Anzeigenteil deutschlandweit
zu erwarten sei.
In ihrem Zimmer angekommen, nahm sie
Blatt und Stift und schrieb sauber und ordentlich ihre Kündigung, faltete das
Blatt zusammen und legte es auf den Esstisch. Nun legte sie sich auf das Bett,
breitete die Zeitungen aus und begann die Stellenanzeigen zu studieren und
unter vielen Angeboten stach ihr eine ins Auge, Köln, ja, das war weit genug
entfernt, und Köln war schon deshalb ein Haupttreffer, weil ihr geliebter
Bruder Ralf dort wenige Kilometer weiter in Porz lebte, er hatte inzwischen
geheiratet und Ria erwartete ein Baby.
Sofort suchte sie ihre Papiere
zusammen. Noch hatte sie einige beglaubigte Kopien, konnte also gleich ihr
Bewerbungsschreiben fertig machen. Noch in der Nacht lief sie zur Post, wo sie
aufatmend den Brief einwarf. Ihr Blick war seltsam starr, der Mund zu einem
leisen Lächeln verzogen, sie fühlte sich kalt, doch kein weiterer Gedanke blieb
im Kopf hängen, sie wirkte wie ein Roboter, fühlte nichts, handelte nur und
auch am folgenden Tag nahm sie pflichtbewusst wie gewohnt die Kinder in
Empfang. Sie stand dem Ehepaar Rede und Antwort, gab als Kündigungsgrund das
verhasste Durchgangszimmer, die stets fehlende Mittagszeit, die Arbeitszeit von
oft 12 Stunden und das dafür zu geringe Gehalt an.
Susi packte. Zwei Koffer hatte sie
schon zum Bahnhof gebracht, sie hatte sich ein Taxi geleistet. Keiner wusste
davon, doch sie musste den Schlussstrich ziehen, denn er hielt fest, er wollte
alles … die Geliebte, die Frau, die sein Eheversprechen hatte, und dadurch die
Möglichkeit, in Ruhe sein Studium zu Ende zu bringen, ohne Geldnot, ohne
nebenher arbeiten zu müssen, wie viele seiner Kommilitonen.
Heute würde sie es ihm sagen, denn
morgen ging die Fahrt nach Köln.
Der Abend war schlimm. Godehard und
die Freunde begriffen gar nicht, dass Susi sich so plötzlich verabschiedete
und alles verheimlicht hatte.
Starr vor Schmerz, den sie sich aber
nicht anmerken ließ, ja, die Fröhliche, Begeisterte in Formvollendung spielend,
umarmte sie alle, lehnte ein Mitkommen in Godehards Wohnung ab, küsste ihn
kurz, als er sie vor der Haustür absetzte, verschwand mit einem kurzen Winken
im Haus. Schwer atmend lehnte sie sich an die Wand, nun konnte sie die Theateraufführung
beenden und schluchzend brach der ganze Trennungsschmerz über ihr zusammen.
Als der schrille Pfiff des Schaffners
dem Zugführer das Zeichen zur Abfahrt gab, gellte er in Susis Ohren noch lange
nach … Ihr Blick wanderte über die vorbeihuschenden Dörfer und Städte, die von
der eben erst über den Horizont steigenden Sonne in goldenes Licht getaucht
wurden, goldenes Erwachen, ja, das war anders als das bittere Erwachen, das
Susi durchlebte, aber wieder einmal setzte der Optimismus sich durch und sie
sah in der Zukunft eine Chance, eine Chance auch für ein neues Glück?