„Leise, leise! Wir können einen Wagen hören, er kommt in
unsere Richtung.“
Käthe schob den Korb mit
den zwei Wasserkannen und einem Brot durch die kleine Falltür vom Stall, die
nach unten in das alte Vorratslager führte, „Später oder heute Nacht lasse ich
euch wieder einzeln ins Haus, dann könnt ihr euch waschen!“ verschloss die Luke wieder, verteilte auf
dem Boden Stroh und lauschte auf ihr
hart pochendes Herz.
Was würde ihnen allen passieren, wenn es heraus käme, dass
sie 12 Menschen hier versteckte.
Doch nach Allem, was sie über Riga-Kaiserwald gehört hatten,
konnten sie nicht anders. Das Lager war erst im vergangenen Jahr richtig
eingerichtet worden, die Gefangenen arbeiteten zwangsweise für deutsche
Großfirmen in der Produktion ihrer Elektrogeräte, viele Gefangene waren aber schon
hingerichtet worden.
Da waren Jakob und Hannah mit ihren halbwüchsigen Kindern Georg-Wilhelm, Hans-Wolfram und Liese-Lotte.
Sie war mit Hannah zur Schule gegangen, nie hatte es Unfrieden gegeben, Lilo war
ihr Patenkind. Hannah und die Kinder waren getauft, doch jüdischer Herkunft.
Als sie bei Nacht und Nebel mit wenigen Habseligkeiten bei
ihr auf dem kleinen, abgelegenen Hof in Cerkste standen, konnte sie sie doch
nicht wegschicken.
Vor drei Tagen standen dann plötzlich 7 Menschen vor ihr,
die aus verschiedenen Richtungen aus dem sicheren Wald gekommen waren. 3 Frauen
und vier Männer waren einem Konvoi entkommen.
„Sie schaffen alle aus dem Lager weg, erschießen die ganz
Jungen und die Alten, wir konnten aus dem LKW entkommen, als ein Reifen
platzte. Sie haben auf uns geschossen und sicher viele getroffen.“
Ihr Mann Karl war offiziell als Fischer unterwegs, brachte
aber tatsächlich mit seinem Freund
flüchtige Juden
nachts nach Engure, wo ein Fischkutter diese Menschen aufnahm, um sie über
mehrfaches Umladen an der Küste Lettlands entlang bis nach Ventspils, von dort
nach Gotland, dann bis Vaxholm zu bringen, von wo aus sie Stockholm erreichen
konnten.
Da mittlerweile alle Seewege massiv vermint waren, wurde es
fast unmöglich, weitere Flüchtlinge, die von Polen her immer noch ins Land
strömten, in Sicherheit zu bringen.
Sie bewirtschaftete die Ställe, den Acker und Garten
mit Celina, ihrer Kusine und
deren Mann Heinrich. Heinrich
hatte auch die Idee mit dem geräumigen Vorratskeller gehabt, der noch bei ihren
Schwiegereltern genutzt wurde.
Der Stall an sich bot schon den Sichtschutz, den sie
brauchten, um Stroh und Decken in dieses unterirdische Gelass zu bringen und
den Raum zu erweitern. Tag für Tag wurde gegraben und die alten Bretter von dem
unweit umgefallenen Schober stützten die Wände. So konnten sie aus dem einen
vorhandenen gemeinsam zwei ineinander übergehende, schlauchförmige Räume von
jeweils ca 8 qm schaffen.
Da es im Umkreis von 4 km keinen anderen Hof gab, waren sie
relativ sicher, obwohl in den letzten Monaten immer häufiger die deutschen
Kontrollen, 2-4 Mann stark, mit schmutzigen Stiefeln durchs ganze Haus
polterten, alles aus den Schränken rissen, auch in jeder Stallecke stocherten
und dann wieder abzogen.
Es wurde dann eng und stickig in dem kleinen Unterschlupf,
der aber immer wieder verlassen werden
konnte, wenn die Gefahr vorbei war, der Stall bot dann noch genügend Schutz.
Zwei hielten stets auf dem Heuboden Wache an den winzigen
Luken, von denen aus man einen guten Überblick über das Gelände bis zum Wald
hatte.
Das Essen wurde nicht zu knapp, denn jetzt im Sommer wuchsen
die Vorräte geradewegs in die hungrigen Münder. Obst und Gemüse für sättigende
Suppen und auch Milch, von den letzten beiden Kühen, ließ keinen hungern.
Im September 1944 räumten die Deutschen die Lager, viele
Häftlinge wurden erschossen, bevor im Oktober die rote Armee das KZ erreicht.
Käthes Gäste haben alle überlebt. Martha erlag am 23. Januar
1945 einem Herzinfarkt, nachdem sie die Nachricht von Karls Tod auf See
erfuhr. Käthe und Karl waren meine
Großtante und-Onkel.
Flora von Bistram 1994