Wer es verstehen kann, der verstehe es. Wer aber nicht, der lasse es ungelästert und ungetadelt. Dem habe ich nichts geschrieben. Ich habe für mich geschrieben. (Jakob Böhme)

#Eisenhut und #Nackenbraten



„Robert, das Essen ist fertig. Kommst du?“
Das Schemen hinter der Zeitung brummelt:
Sie hört, wie er rülpst und sich kratzt. Sie beginnt zu essen. Die Zeitung raschelt.
„Willst du auch hinterher einen Kaffee?“

"Nee, gib mir noch'n Bier."
"Aber es ist Mittag und du hast schon drei Bier getrunken. Denk doch an dein Herz."
Raschel, rülps, raschel, kratz…
Sie räumt ihr Geschirr in die Spülmaschine.
Ihr Kaffee dampft. Sie nimmt ihn mit auf die Terrasse, schließt die Augen und genießt die Spät-Sommergeräusche.
Da, die Störung, erwartet, gewohnt, gehasst. Knarren des Sessels, Klatschen der Zeitung auf dem Tisch und ein Brüller:
„Wieso kannst du nie mit dem Essen warten. Man wird doch noch eben den Artikel zu Ende lesen dürfen!“
Sie steht auf, holt ihm das Essen aus der Küche, wo sie es im Backofen warm gehalten hatte.
„Nackenbraten mit viel Zwiebeln und Klöße, magst du doch so gerne.“
„Meine Medizin!“
Auch die stellt sie ihm hin. Herz- und Blutdruckmedikamente nahm er schon lange und leider wirkten sie noch immer.


Wie oft hat sie geweint und gelitten unter diesem Monster, der auch schon mal zuschlug, wenn er zu viel Schnaps getrunken hatte. Und er trank zu gerne. Der Arzt hatte ihn schon mehrfach gewarnt, dass es böse enden könnte im Zusammenwirken mit den Medikamenten.


Doch heute weint sie nicht, nein, sie lächelt, geht durch den Garten, durch die hintere kleine Pforte in den Wald und verfüttert die gesammelten Brotkrumen an die zutraulichen  Eichhörnchen und Vögel.
Sie dehnt den Spaziergang aus. Sie fühlt sich gut und leicht.
Heute ist ihr Tag. Der 35. Hochzeitstag. Er soll die Wende bringen.
Er hat sich ja schon lange nicht mehr daran erinnert, ebenso wenig an die Geburtstage. Heute ist er  für 16 Uhr mit seinem Saufkumpan verabredet, sie mit der benachbarten Freundin.
Aus ihrer Rocktasche holt sie jetzt ein paar unscheinbare Blätter, die sie sorgsam im Waldboden einarbeitet, ebenso einen Mörser, einen Stößel...Erde und Laub wieder drüber.
Das Lächeln verstärkt sich. Einige kleine Blätter vom Eisenhut hat sie gemörsert und in seinen Magenbitter gemixt, den er immer nach einem reichhaltigen Essen trinkt. Er wird es nicht schmecken.
Nach zehn Minuten erreicht sie das Anwesen der Nachbarn. Ihre Freundin Marie ist im Garten.
Sie trinken selbstgemachten Holundersekt, stoßen auf den Hochzeitstag an, unterhalten sich. Es gibt Kaffee und Kuchen, noch einmal Holundersekt... bis das Telefon klingelt.
Sie sieht auf die Uhr und lächelt wieder. 

Der Kumpel hat ihn gefunden, es war zu spät.

Der Totenschein bescheinigt Herztod.
War ja zu erwarten, sagen die Dörfler.

Ich hab ihn gewarnt, sagt der Arzt.

FloravonBistram

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