Ganz aufgeregt liefen die
größeren Kinder neben Brunhilde her, Martin saß in seinem Kinderwagen. Die
stämmige Vierzehnjährige war zur Unterstützung der Hausfrau in den Haushalt
gekommen, denn Amelie erwartete wieder ein Kind. Sorgen machten sich breit,
denn die Kraft und das Geld reichten ja so kaum und nun noch mehr Arbeit, noch
ein hungriges Mäulchen zu stopfen.
Die Geburt stand unmittelbar
bevor und die Kinder waren mit der jungen Hilfe zum Spaziergang geschickt
worden.
„Brunhilde, was meinst du
werden wir bekommen, einen Bruder oder eine Schwester?“ Der fast neunjährige
Ralf blickte sie gespannt an.
„Ach Ralf, das müssen wir
dem lieben Gott überlassen, was er schickt.“
„Aber Mutti und Vati wollen
wieder ein Mädchen, schon bei Martin hatten sie gesagt, es sollte eine Beate
werden.“
„Das kann man sich nicht
aussuchen, wir sind sieben Kinder und da hat auch niemand gesagt, was wünscht
ihr euch, es kommt, wie es kommt.“
„Brunhilde, wie groß ist
denn so ein Baby, wenn es aus dem Bauch kommt?“ Susi hoffte so sehr auf
Puppengröße und war beglückt über die Antwort:
„So groß ungefähr war mein
kleiner Bruder“, deutete das erfahrene Mädchen mit den Händen ungefähr fünfzig
Zentimeter an.
„Oooh jaaa, dann passt es ja
in mein Puppenbett!“ Susi bekam ganz heiße Wangen vor Aufregung. „Ach, wann ist
es denn soweit?“ „… soweit?“, echote Martin aus seiner Kinderkarre heraus, in
der er gut abgeschirmt war vor Regen und Wind, durch ein großes Regencape, wie
es auch die beiden älteren Kinder trugen, denn der Eintritt des neuen
Erdenbürgers in sein Leben wurde von wechselndem Aprilwetter begleitet.
„Wir gehen noch mal zu Hause
vorbei und fragen nach.“ Brunhilde war schon bei ihrer Familie mit den Kindern
gewesen, weil das stundenlange Herumlaufen doch alle sehr ermüdete.
Tante Gitta, eine Schwester
von Matthias, war zur Unterstützung der Hebamme da. Der wieder einmal werdende
Vater wollte auch bei dieser Geburt, wie bei den beiden letzten dabei sein.
Ralfs Geburt erlebte er in Frankreich, als Funker im Schützengraben.
Und dann war es soweit.
Staunend stand Susi so wie ihre Brüder vor diesem kleinen Bündel. Ganz
vorsichtig berührte sie die winzigen Hände, streichelte den kleinen Kopf.
Verzückt sah sie zu, wie der kleine Mann an die Brust der Mutter gelegt wurde
und der vorher noch schreiende Mund sich um die stramme Brustwarze schloss und
glucksende Geräusche anzeigten, dass Thommi, dessen Namen – Thomas ‑ Ralf
ausgesucht hatte, zufrieden trank.
Susi konnte sich nichts
Schöneres vorstellen, als diese lebende Puppe.
Ganz mucksmäuschenstill sah
sie nun immer zu, wie der Kleine gewaschen, gebadet und gewickelt wurde, mal
von Mutti und abends auch von Vati. Auch Ralf durfte dabei schon mithelfen.
Wie sehr wünschte sie sich, dieses kleine Bündel mit ins Kinderzimmer zu nehmen
und in das große Puppenbett zu legen, aber halten, ja, Thommi auf dem Schoß
mal im Arm halten, das durfte sie. Fast hielt sie den Atem an, so nah waren sie
sich da, fast eins. Ganz leise erzählte sie ihm kleine lustige Geschichten von
Engeln und Feen und Wichteln … Stumm, in Gedanken nur sprechend, Zwiesprache
haltend im tiefsten Innern mit diesem winzigen Menschen, der mit seiner ganzen
Kraft ihren kleinen Finger umschlossen hielt, dass es die kleine, vierjährige
Susi manchmal schmerzte, doch ein süßer Schmerz, kaum, aber doch da … ja,
manchmal meinte sie, diesen gar nicht mehr missen zu wollen. Und Leere breitete
sich aus, wenn ihr der kleine Bruder wieder genommen wurde und die Wärme, die
sich vorher so völlig ausgebreitet hatte, nun langsam wieder wich.